»Schlitzt die Verräterin auf!«

Seit Runhilds Eltern ermordet wurden, ist ihr Leben von Rachedurst geprägt. Doch als die große Seherin und Geschichtenerzählerin Edda sie als den Ursprung der Ragnarök prophezeit, ändert sich alles. Plötzlich wird sie nicht nur von Menschen verfolgt, auch Thor und Odin jagen sie erbarmungslos. Doch eines ist für Runhild klar: Sie wird ihr Schicksal niemals akzeptieren …

Auszug aus dem Buch:

»Skadi ist wütend, du aufgeblasener Nichtsnutz. So wütend, dass sie mich aussandte. Mich auf eure Blutspur führte, damit ich euch Stück für Stück aus dem Leben reiße.«
Erneut stürzte sich der Mann knurrend auf sie. Doch sie war vorbereitet. Sie täuschte an, den Schlag zu blocken, duckte sich stattdessen unter der Axt weg und schlug mit der Klinge nach ihm. Trotz seiner Größe war er flink und wich ihr aus.
Sein Kampfgeschick überraschte sie.
Ein weiteres Mal umrundeten sie sich. Dabei knisterte das Holz und fiel vereinzelt in sich zusammen. »Weißt du, was deine Freunde am meisten bereuten?«
»Halt’s Maul! Der Allvater Odin richtet über deine Seele! Aber zuerst kümmere ich mich um dich und ich lasse mir Zeit. Das verspreche ich.«
Mit erhobener Waffe rannte er auf sie zu. Dabei schien es, als würden ihm die Schneemassen nichts ausmachen. Er pflügte durch sie hindurch und holte aus. Sie stach in Richtung seines Bauches. Er zuckte zurück, sein Schlag verlor sich.
Ihr Atem ging schwer. Die Gier nach Blut vernebelte ihre Gedanken. »Ich werde schneller sein und Skadi wird über deine jämmerliche Seele richten. Aber erst, wenn ich mit dir fertig bin.«

»Ich erzähle dir meine Geschichte, wenn du mir die deine erzählst.«
Er nickte feierlich. »Abgemacht.«
Und so berichtete sie von ihrem Ausflug in das Dorf, verschwieg ihm jedoch Haakon und Gerda. Stattdessen erzählte sie von der großen Edda und ihrer Prophezeiung. »Als ich floh, erklang ihre Stimme in meinem Kopf.«
Bei der Erinnerung schauderte sie. »›Die Götter werden dich jagen.‹ Das waren ihre Worte.«
Lautstark stieß Fenrir den angehaltenen Atem aus. »Nun verstehe ich, warum du gelacht hast.« Er schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln.
»Also Fenrir, der von seinen Eltern so sehr gehasst wurde, dass sie ihm diesen Namen gaben. Was ist deine Geschichte?«
»Nun … Ich könnte dir sagen, dass mein Vater mich schlug und für meine Unzulänglichkeiten wegschickte.«
»Aber?«
Er stieß einen Seufzer aus. »Das wäre eine langweilige Geschichte, nicht wahr?«
In ihr kam der Verdacht auf, dass der junge Mann mit ihr ein Spiel spielte, das sie nicht verstand.
Seit der Nacht, in der ihr alles auf grausame Weise genommen worden war, war ihr Weg durch Verrat, Hinterhalt und Erpressung zu einem schier unüberwindbaren Sumpf geworden. Darum hatte sie sich angewöhnt, die Wahrheit auszusprechen, auch wenn sie nicht immer angenehm war.
»Also?«
Erneut seufzte er. »Es mag seltsam klingen, aber in gewisser Weise war ich auf der Suche nach dir.«
»Was?«
»Ich war … Es ist schwer in Worte zu fassen.«
»Versuch es.« Misstrauisch beäugte sie ihn und hielt gleichzeitig Ausschau nach ihrem Schwert.
»Lange Zeit war ich gefangen. Gemeinsam mit einem … Freund. Ich konnte fliehen und musste ihn zurücklassen. Doch ich habe mir geschworen, ihn zu befreien.«
»Wie lautet sein Name?«
»Seinen richtigen Namen kenne ich nicht, sein Spitzname ist Sumpfwolf.«
»Sumpfwolf?«
Er lächelte versonnen. »Ein guter Name, nicht wahr?«
Das bezweifelte sie. »Weshalb warst du auf der Suche nach mir?«
»Wie gesagt, ich war nicht direkt auf der Suche nach dir als … Person.«
Was er sagte, war so verwirrend, dass sie ihn stumm anstarrte und wartete.
Er fuhr sich über das Gesicht. »In Ordnung, ich hatte … Hilfe bei der Flucht.«
»Warum konnte dein Freund nicht ebenfalls befreit werden?«
»Er … hat sich geopfert, damit ich fliehen konnte.«